Über Zen hinausgehen und loslassen

Nachdem sich scheinbar doch viele Menschen fragen, oder in Foren darüber austauschen, wie es mir geht und warum es vom Mönch Heisan keine neuen Inhalte, Videos oder Blog-Beiträge gibt, hier meine Antwort.

 

Vorneweg darf ich sagen, dass es mir gut geht und meine Familie und ich nach wie vor auf dem Bauernhof leben, den wir ursprünglich zu einem Retreat- und Meditations-Hof ausbauen wollten. Bedingt durch Corona und einige persönliche Veränderungen hat sich dies bis heute allerdings noch nicht realisieren lassen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringen wird.

 

Ich werde in diesem Blog-Artikel sehr offen und ehrlich mit dir sein. Vielleicht erfährst du sogar etwas, dass du bisher noch gar nicht über mich wusstest, wie zum Beispiel, dass ich leidenschaftlicher Unternehmer und Unternehmensberater bin.

 

Zwei Seelen in einem Körper

 

Schon immer gab es in mir zwei große Persönlichkeitsanteile. Da gab es auf der einen Seite den Mönch, den spirituell Suchenden, dessen Suche vor einigen Jahren ein Ende gefunden hat und der sich engagiert die Zen-Praxis weiterzugeben.

 

Auf der anderen Seite gab und gibt es den Unternehmer, der Teil in mir, der es liebt anderen Unternehmern zu nutzen und ihnen im Bereich Marketing und Kommunikation zu helfen, um wiederum ihrerseits durch ihre Produkte oder Dienstleistungen für andere Menschen nützlich zu sein.

 

Als Unternehmensberater unterstütze ich Familienväter und -mütter, die keine Zeit für ihre Kinder haben oder denen das Geld fehlt, um für andere Menschen Jobs und Stellen zur Verfügung zu stellen.

 

Ich begleite diese Unternehmer oder Unternehmerinnen dabei, sofern ihre Dienstleitung oder ihre Produkte wirklich nützlich für andere Menschen sind, die richtige Zielgruppe zu finden und mit dieser Zielgruppe auf eine Art und Weise zu kommunizieren, dass diese den Nutzen für sich sofort versteht.

 

Ich helfe meinen Kunden mehr Struktur, Klarheit und ja, auch mehr Ruhe und Frieden in ihren oft stressigen Alltag zu bringen. All meine Erfahrungen, die ich durch Zen und die Praxis machen durfte, fließen in meine Tätigkeit und in mein Sein ein.

 

Die Bühne verändert sich

 

Aus meinem Blickwinkel hat sich meine Aufgabe nicht verändert, nur die Bühne, auf der ich meiner Aufgabe gerecht werde. Als Zen-Praktizierender und Mönch ging es mir immer darum, meinen Zuschauern oder Teilnehmern mehr Bewusstsein für sich selbst, ihren Körper, ihren Verstand etc. zu schaffen, um sich selbst letztlich wirklich zu erkennen. Aus diesem Erkennen heraus lösen sich viele Konzepte und veraltete Muster und es führt zu mehr Frieden in innerer Ruhe.

 

Als Unternehmensberater schaffe ich ebenso mehr Bewusstsein in den Köpfen meiner Kunden und Zuhörer. Hier geht es um die Bedürfnisse der eigenen Zielgruppen, deren Ängste und Probleme, die meine Kunden mit Ihrem Angebot lösen können. Aber es geht auch um Bewusstsein für das eigene Unternehmen, die Mitarbeiter, Strukturen und Abläufe.

 

Wenn man so will, ist Bewusstsein in einem Unternehmen zu schaffen, eine Metapher für den Prozess und den Weg, den ein Zen-Praktizierender sich selbst gegenüber geht. Wir klären unser Bewusstsein und durchschauen seine manchmal täuschenden Eigenschaften, um am Ende wirklich erwachsen und erwacht unser Leben zu gestalten.

 

Über Zen hinausgehen und loslassen

 

Wie auch immer. Warum sieht und hört man nichts mehr von dem Mönch Heisan? Die Antwort ist genauso einfach wie komplex. Im Grunde genau wie Zen selbst. Ich bin ein vielseitig engagierter Mensch und mein Vorteil oder Nachteil ist, dass ich in vielen Dingen sehr gut bin.

 

Als ich, bedingt durch meine Ordination, die Entscheidung traf, mein Leben dem Zen und der Weitergabe dieser Praxis zu widmen, traf ich diese Entscheidung mit ganzem Herzen. Der Unternehmer in mir starb für einen Augenblick oder wurde zumindest unterdrückt und bekam deutlich weniger Energie und Aufmerksamkeit.

 

Aber ich wusste, dass wenn ich mich für diesen Weg entscheide, diese Entscheidung all meine Aufmerksamkeit, Energie und Fokussierung bekommen sollte. So entstand das Filmprojekt mit den Interviews der verschiedenen Zen-Meister, die ich in der Tat eher willkürlich ausgewählt habe bzw. deren Name mir einfach bekannt war.

 

Es entstand der YouTube-Kanal, die ersten Sesshins und auch die Online-Sangha, die während der Corona-Zeit für den ein oder anderen im Lockdown eine Hilfe und Stütze war, mit der eigenen Praxis weiterzumachen.

 

Das Leben lenkt unsere Wege

 

Der Kauf und die Renovierung des Bauernhofs, wenngleich unterstützt durch viele Freiwillige beim Samu, kosteten mich viel Kraft und Energie. Nach dieser intensiven Umbauphase fanden die ersten Retreats und Sesshin am Hof statt. Allerdings nur mit einer geringen Anzahl von Teilnehmern.

 

Allmählich wurde das Geld knapp, da wir all unsere Rücklagen in den Kauf des Bauernhofes gesteckt hatten. Ganz am äußeren Rand meines Bewusstseins wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Dass es mir nicht möglich wäre, auf diese Weise meine Familie zu ernähren und die Kosten für den Hof zu tragen.

 

Egal, wie viel Energie ich hineinsteckte, um das Seminarhaus wirtschaftlich erfolgreich zu machen, bedingt durch Corona, Lockdown und Auflagen, waren die Kosten immer höher als der Umsatz.

 

Dann kam es zum Krieg in der Ukraine

 

Ich kann gar nicht genau sagen, warum mich dieser Krieg so tief erschüttert hat. Auf einmal wurde ich mir meiner völligen Ohnmacht bewusst, bezogen auf diesen Krieg und all die anderen Leiden und Schmerzen in der Welt. Es hat mir regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen und ich empfand tiefes Mitleid mit all den Menschen.

 

Im Grunde war es nicht nur Mitleid, ich litt selbst unter dem Leiden dieser Menschen, die wegen eines Krieges ihre Heimat verlassen mussten, die aufgrund von Naturkatastrophen ihre Familie verloren haben oder die aufgrund anderer Situationen unaussprechliches Leid und Schmerzen erfahren.

 

Diese Erfahrung der Verbundenheit und Anteilnahme am Leiden und Schmerz der anderen riss mich so schnell in eine tiefe Traurigkeit, dass ich gar nicht wusste, wie mir geschah. Heute würde ich sagen, dass es eine Depression war, die Stück für Stück von mir Besitz ergriff.

 

So viel Erkenntnis auf dem Kissen, soviel Weisheit und doch die völlige Unfähigkeit diesen Menschen mit ihrem Leiden zu helfen oder zumindest ihr Leiden zu lindern, waren Gedanken, die ich zur damaligen Zeit mit mir herumtrug.

 

Ich stellte mich selbst infrage. Konnte ich ein guter Webbegleiter (das Wort Lehrer habe ich selbst nie verwendet) sein, wenn mich dieser Krieg und meine Ohnmacht so sehr beschäftigt? Aus heutiger Sicht war klar, dass ich unter einer mehr oder weniger starken Depression litt und selbst die stille Praxis auf dem Kissen war mir keine große Hilfe.

 

Sich dem Leben anvertrauen

 

Statt passiv auf dem Kissen zu verharren, fing ich wieder an Sport zu treiben, mich mit anderen Dingen als dem Zen zu beschäftigen und nach Wegen zu suchen, meine Familie zu ernähren, die Kosten für den Hof zu tragen und auf andere Weise nützlich für die Menschen und diese Welt zu sein.

 

Ich erkannte, dass meine Entscheidung, mein Leben dem Zen und dessen Weitergabe zu widmen, ein weiterer Trick des Ego-Verstandes war. Statt mit dem Leben zu fließen und mich dem Fluss anzuvertrauen, hielt ich fest an dem Gedanken, dass es meine Aufgabe sei, anderen Menschen die Früchte der Praxis näherzubringen.

 

Eine für mich wichtige Erkenntnis und die Art und Weise wie für mich Leben funktioniert lautet: Wenn etwas nicht einfach geht und mehr Energie benötigt, als am Ende herauskommt, dann ist es der falsche Weg. Wenn wir an einer Idee oder einem Konzept festhalten, obwohl es offensichtlich nicht funktioniert (z. B. Zen-Seminarhaus an einem Bauernhof in einem kleinen Dorf in Hessen), dann sollten wir es loslassen.

 

Leben wird viel einfacher und weniger kompliziert, je leichter es uns fällt, uns dem Leben anzuvertrauen und geschehen zu lassen, statt dem Ego-Verstand zu folgen, zu tun und zu machen, auch wenn es nicht erfolgreich ist.

 

Genauso erging es mir mit der Idee der Weitergabe von Zen. Ich bin überzeugt, dass ich ein guter Wegbegleiter war und bin, um Suchenden Antworten auf Fragen zu geben, mit denen ich mich früher selbst herumgeschlagen habe.

 

Aber vielleicht ist die letzte große Erkenntnis, dass wir als Zen-Praktizierende über Zen selbst hinausgehen dürfen und das Konzept Zen völlig loslassen können. Genau das ist nämlich mir widerfahren, als ich durch Zufall eine E-Mail von einem Unternehmer bekam, der von meinen Fähigkeiten und mir gehört hatte, und mich gerne beauftragen wollte.

 

Es war, als würde mich das Leben selbst wieder zurückrufen in meine Rolle des Unternehmensberaters und Marketing-Coaches. Es fühlte sich fließend und richtig an, diesem äußeren Ziehen und dem inneren Verlangen nach Veränderung nachzukommen und mich wieder mehr mit diesem Anteil meiner Persönlichkeit zu widmen.

 

Nicht nur des Geldes wegen, was wichtig war, um meine Familie zu ernähren und den Bauernhof halten zu können, sondern vor allem, weil es sich richtig anfühlte, entschied ich mich, meine Robe (zumindest für den Augenblick) an den Nagel zu hängen und mich aus der Zen-Szene zurückzuziehen.

 

Als Unternehmensberater war ich schon viele Jahre tätig, bevor ich mich ganz dem Zen verschreiben wollte. Schön, wenn uns das Leben dann doch wieder auf den Weg führt, der scheinbar für uns vorgesehen ist. 

 

Wenn sich eine Entscheidung nicht gut anfühlt, wenn es mehr Energie, Zeit und Kraft kostet als es dir bringt, dann überlege, ob du noch auf dem rechten Weg bist. In meiner Wahrnehmung muss oder darf sich Leben leicht und im Fluss anfühlen.

 

Statt einen Persönlichkeitsanteil zu „verbannen“ weil er vielleicht nicht dem Idealbild eines Zen-Mönchs entspricht, sollten wir uns selbst lieber erlauben, unsere Fähigkeiten, Talente und besonderen Stärken zum Wohle für andere einzusetzen.

 

Meine Aufgabe als Unternehmensberater erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Wenn ich erlebe, dass einer meiner Kunden durch meine Unterstützung mehr Zeit für seine Familie und insbesondere für seine Kinder hat, ist das wunderbar. Ich lege, vielleicht bedingt durch meine Zen-Erziehung, großen Wert darauf, nur mit Unternehmen zu arbeiten, die ihrerseits einen hohen Nutzen und Wert für ihre Kunden und diese Welt bringen.

 

Diesen Unternehmen helfe ich gerne und mit voller Hingabe. Und ja, an der ein oder anderen Stelle spreche ich mit den Unternehmern auch für Meditation, Zen und warum es wichtig ist, konzentriert und fokussiert an einer Sache dranzubleiben. Aber auch, wie es geht, dass wir loslassen können in dem Erkennen, dass es Letztlich in diesem Leben nicht um Ruhe, Macht, Erfolg oder Geld geht.

 

In diesem Sinne. Ich wünsche dir, der du bis hier hin gelesen hast, weiterhin eine gute Praxis. Es wird vielleicht der Punkt kommen, an dem du erkennst, dass die Fackel, mit der das Feuer entzündet wurde, am Ende selbst ins Feuer geworfen wird.

 

Es ist nicht für jeden bestimmt, dass er oder sie die Praxis an die nächste Generation weitergibt. Du kannst auf vielfältige Weise unterstützen und Nutzen schaffen, indem du dich in deinem Dojo engagierst oder deine Fähigkeiten und Talente auf andere Weise dafür einsetzt, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.

 

Alles Liebe und Gute

 

Dein Heisan