Gibt es im Buddhismus eine Seele?

Fragender: Ich habe da eine wichtige Frage bezüglich des Buddhismus. Glauben die Buddhisten an eine Seele? Ich lese immer wieder vom Menschen „als seelenloses Wesen“ aber auch oft vom Gegenteil. Könnten Sie mir bei dieser Frage weiterhelfen?

Wenn der Mensch keine Seele hat, was genau „wandert“ dann bei der Reinkarnation in den nächsten Körper? Ist diese Bezeichnung dann vielleicht als Synonym zur Seele zu verstehen? Ich bereite gerade eine Seminararbeit zum Thema: Die Auffassung des Buddhismus über den Weg der Seele ins Nirvana  vor und befinde mich jetzt in einer Zwickmühle hinsichtlich des Begriffs der „Seele“. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir helfen könnten.

 

Heisan: Gerne versuche ich bei der Frage nach der Seele zu helfen, muss ihnen aber gleich zu Beginn sagen, dass es da selbst innerhalb der einzelnen Traditionen des Buddhismus vermutlich unterschiedliche Meinungen zu gibt. Daher kann ich ihre Frage nicht aus einer absoluten und in jedem Fall "richtigen" Position heraus beantworten.

 

Aus der Perspektive der Zen-Tradition und innerhalb dieser Tradition aus meiner eigenen Erfahrung heraus gesprochen, gibt es im Buddhismus nicht den Glauben an eine persönliche Seele. Also etwas, dass nach dem Tod fortbesteht und zu Gott zurückkehrt oder ins nächste Leben geboren wird. Wenn wir unser "Ich", also die Person, für die wir uns halten, genauer untersuchen, so finden wir laut Buddha den Körper, die Sinneswahrnehmung, die Gefühle, die Gedanken und das persönliche Bewusstsein, als die Leinwand, auf der die erstgenannten auftauchen.

 

Außerdem dieser 5 so genannten Skandas (Anhäufungen) gibt es nichts, das wir als "Ich" bezeichnen könnten. Doch diese 5 Skandas sind vergänglich, dem ständigen Wandel unterworfen, entstehen durch wechselseitige Abhängigkeit mit der inneren und äußeren Welt. Das zu untersuchen ist die Praxis der Meditation. Im indischen Glauben musste das wahre Selbst etwas sein, dass aus sich selbst heraus existiert, unabhängig von Ursachen existiert und weder geboren wird, noch sterben kann. Diese Formulierung lässt sehr schnell an so etwas wie eine Seele denken. Doch wenn wir während der Meditation unser "Ich" erforschen und beobachten, werden wir nicht so etwas wie eine persönliche Seele finden.

 

Da sind also wir, die den Körper, die Sinne, die Gefühle, die Gedanken und sogar das persönliche Bewusstsein beobachten können, aber kann das, was da beobachtet selbst beobachtet werden? Ganz offensichtlich kann der Beobachter nicht beobachtet werden, da es sonst noch eine tiefere Instanz von Beobachtung geben müsste. Vielleicht könnte man diese Instanz der Beobachtung, die aber keine persönlichen Attribute hat, als das bezeichnen, was im christlichen Glauben als Seele bezeichnet wird. Als dieser göttliche Funken in uns, der letztlich Gott selbst ist. 

 

Es gibt im Buddhismus also nicht die Idee einer persönlichen Seele, sondern einer einzigen Seele, die oft als der eine Geist, das Ungeborene, Buddhanatur oder ähnliches bezeichnet wird. Und das sind letztendlich wir alle als eines. Wir alle sind diese Quelle jeglicher Wahrnehmung, der Ursprung, das Ungeborene... der eine Geist... Gott?!

 

Aus diesem Verständnis heraus wird nicht eine individuelle Seele wieder und wieder geboren bzw. reinkarniert sich immer und immer wieder, sondern es ist Gott selbst, der sich als Mensch reinkarniert. Dazu vielleicht eine schöne Metapher, die ich immer wieder gerne erzähle:

 

Gott hat angefangen mit sich selbst verstecken zu spielen, aber er hat das Spiel so gut gemacht, dass er vergessen hat, dass es nur ein Spiel ist. Und so hat er sich selbst vergessen.

 

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es keine Seele gibt, die ins Nirvana eingeht, sondern dass das, was wir hier als Seele bezeichnen, bereits Nirvana ist. Und zwar in dem Augenblick, wenn Erkenntnis geschieht, dass wir nicht nur dieses Körper-Geist-System sind, sondern dass wir mehr sind als das. Im Zen sagen wir, dass Nirvana (=Verlöschen) und Samsara (=Werdekreislauf) ein und das selbe sind. Es kommt nur auf den Blickwinkel an, aus dem wir die Welt wahrnehmen. Jesus hat gesagt: "Das Himmelreich ist inwendig in euch." bzw. "Das Himmelreich ist mitten unter euch." was im Grunde die selbe Erkenntnis zum Ausdruck bringt. 

 

Nirvana bedeutet also verlöschen oder auflösen der Identifikation mit diesem Körper-Geist-System was ein mehr an Lebendigkeit, Kreativität, Mitgefühl und Spontanität im Leben bedeuten kann. Ein mit dem Leben mit fließen, statt sich egoistischer Weise dagegen zu sträuben. Christlich ausgedrückt mit den Worten: "Nicht meine Wille geschehe, sondern der deine..."

 

Nun, ich hoffe, dass ich deine Frage etwas beantworten konnte und nicht noch viel mehr Fragen aufgeworfen habe.