Hallo Thorsten,
etwas was mich tief berührt und mir auf der Seele brennt und ich Dir, nachdem ich Dein offenes und ehrliches Tagebuch gelesen habe, einfach anvertraue. Eigentlich eine Sache für einen Psychologen aber ich bringe es in "Zusammenhang" mit Zazen. Vielleicht ist es auch einfach nur Zufall oder ich interpretiere etwas hinein oder bin auf der ganz falschen Fährte.
Nun ich öffne mich Dir und vielleicht hast Du ja etwas ähnliches von anderen gehört oder kannst das einordnen und mir irgendein Feedback geben.
Mir scheint seitdem ich Zazen regelmäßig praktiziere ist wieder etwas ans Tageslicht getreten, was längere Zeit in mir verborgen war und ich schon völlig vergessen oder besser gesagt verdrängt hatte. Nach mehreren Ereignissen in jüngster Zeit habe ich mich damit zwangsläufig intensiver beschäftigt. Bei zwei Einzelgesprächen mit Zen Meistern habe ich es angesprochen und zuletzt war das Gespräch für mich sehr emotional, ich habe geweint. Meine Emotionen waren mit peinlich aber die Antworten haben mir geholfen und ich denke auch Zazen hat mir geholfen den Zustand einzuordnen, vielleicht....
Vielleicht hat Zazen es aber auch einfach wieder freigelegt.
Folgendes passiert in der letzten Zeit wieder vermehrt seitdem ich Zazen praktiziere und ich dachte zunächst es ist ein Zustand der auch im Zazen erlebt wird und hätte mit einem geänderten Bewusstsein zu tun: Nun, es gibt und gab immer wieder in meinem Leben Momente da trete ich von meinem Bewußtsein zurück und beobachte quasi mich selbst, einen anderen Paul (Name geändert) der "da vor mir ist". So als ob ich mich verlasse und hinter mich oder besser gesagt zurück trete. Schwer zu beschreiben!!
Keine außerkörperliche Erfahrung aber eigentlich doch. Nicht so, dass ich mich selber von oben oder von hinten sehe, aber ich bin nicht mehr ich selbst und ein anderer, zweiter Paul (Name geändert) oder ein anderes, unabhängiges Bewusstsein. Der "normale" Paul (Name geändert) ist getrennt von mir und redet "ganz klein" da VOR mir. Ich steuere ihn vielleicht noch irgendwie, weiß aber auch nicht genau wie oder ob ich ihn steuere und habe Angst, dass er außer Kontrolle gerät. Die Verbindung zu ihm ist dann schwach und mir ist nicht klar wie die Verbindung überhaupt ist. In der letzten Zeit ist das wieder mehrfach geschehen zum Beispiel als ich mit anderen Menschen gesprochen habe. Einfach so, aus heiterem Himmel.
Es ist für mich in der konkreten Situation sehr verstörend, extrem beängstigend und reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Ich denke, dass ich verrückt werde!!! Wenn es passiert habe ich außerdem Angst, dass mir das jemand anmerkt und ziehe mich irgenwie aus der Affaire. Interessante Frage nebenbei: Ich weiß echt nicht wer dann die Kontrolle hat und sich zurückzieht. Es ist eher nicht der Paul (Name geändert) der gerade mit irgendwem "automatisch" spricht.
Des Weiteren habe ich regelmäßig Panikattacken die - wie ich erst seit letzter Woche weiß - dem gleichen Phänomen zuzuordnen sind. Es handelt sich psychologisch gesprochen um eine sogenannte Depersonalisierung, keine Schizophrenie (das ist die gute Nachricht). Wer davon betroffen ist und es erlebt ist zutiefst beeindruckt bzw. verängstigt davon. Gott sei Dank habe ich das nur vorübergehend. Ich dachte eine ganze Weile, so ist es wenn beim Zazen die Gedanken aufhören und man einfach nur da ist. Dann kommt ein anderes Bewusstsein. Ich weiß es einfach nicht!! Ist das so??? Beim Zazen selber ist mir das eigentlich noch nicht in der Intensität passiert. Manchmal, wenn die Gedanken zur Ruhe kommen spüre ich sowas wie eine Sperre und es kommt Angst auf. In etwa: Halt Halt, bis hierhin und NICHT WEITER, STOPP!!!.
Und sofort wieder ein Gedankenkarussell. Eigentlich möchte ich den Zustand des Freiseins von Gedanken sehr sehr gern erleben. Andererseits kommt dann diese Panik auf. Und in der letzten Zeit läuft ohnehin nur noch das Kopfkino beim Zazen. Die äußere Haltung klappt immer besser aber Gedanken ohne Ende. Nachdem ich vergangene Woche erst verstanden habe - jetzt erst, im Alter von 57 Jahren - um was es bei diesem Phänomen geht, welches ich mein ganzes bisheriges Leben mit mir rumschleppe, geht es mir schon besser. Ich vermute die Ursache zu kennen, ein Trauma aus frühester Kindheit. Die Angst ist seitdem ein wenig vergangen aber ich sollte wohl mit einem Psychologen reden und das aufarbeiten obwohl ich mich davor scheue.
Jetzt habe ich Dir diese Geschichte anvertraut und hoffe Dich damit nicht überfallen zu haben oder Dir ein "Ohr angeknabbert" zu haben.... es war wirklich mir ein Bedürfnis. Irgendwie habe ich immer noch die Vorstellung, dass beim Zazen etwas anstrebenswertes außergewöhnliches mit dem Bewusstsein passiert. Ein "höherer" Zustand oder so. Paradox, trotz der Panik ist es wie ein Ziel, diesen Zustand zu erreichen. Sicherlich schon ein großer Kardinalfehler überhaupt ein Ziel zu haben beim Zazen.
Nachdem ich Deine Tagebücher gelesen habe, die wirklich sehr hilfreich, sehr offen und ehrlich geschrieben sind denke ich, dass ich beim Zazen wohl viel zu sehr irgendwelchen Vorstellungen anhafte und irgendetwas verfolge und beabsichtige. Es muss mir aber gelingen meine Angst zu überwinden und loszulassen und einfach dazusitzen und den Moment zu erleben. Ich bin auf dem Weg aber es gibt noch diese Geschichte mit der Depersonalisierung an der ich arbeite....
Kann es beim Zazen andere Bewusstseinszustände geben in der Richtung wie ich es manchmal unfreiwillig im Alltag erlebe, eine Depersonalisierung? Ist das nur eine gänzlich falsche Vorstellung von mir und Zazen ist viel "profaner"? Ist dieser Zustand etwas was man beim Zazen erleben kann oder ist der Zustand einfach ein persönliches Problem von mir?
Paradox: Trotz meiner immensen Angst fasziniert mich der Zustand der Depersonalisierung. Wenn ich es steuern könnte würde ich es wohl anstreben ihn kontrolliert herbeizuführen.
Antwort:
Zazen kann zu Beginn wie eine Gesprächstherapie mit sich selbst wirken. Bei dieser Therapieform hört der Therapeut einfach nur zu, tut so, als würde er sich Notizen machen, aber im Grunde hilft er dir nur dabei, dass sich dein Unterbewusstsein ausschütten kann, ohne dass er das Gesagte bewertet, kommentiert oder beurteilt.
Einen ähnlichen Effekt hat Zazen in den ersten Monaten oder Jahren. Du lässt einfach alles hochkommen, was sich gerade ausdrücken möchte. Dabei kann es passieren, dass längst vergessene oder verdrängte Erinnerungen auftauchen. Wenn wir diese nicht ergreifen oder verdrängen, kann sich deren "Energie" natürlich und von alleine auflösen. Verdrängte Anteile haben immer einen Einfluss auf uns als Mensch, solange diese nicht angenommen werden. Mit Annehmen ist aber keine aktive Handlung gemeint, sondern sie einfach für den Augenblick da sein lassen, damit ihre Vergänglichkeit und Substanzlosigkeit wahrgenommen wird.
Wie auch immer. Was du in deiner E-Mail beschreibst, könnte das sein, wie ich "mein" Leben mittlerweile wahrnehme. Die Person Thorsten Schäffer existiert, das ist offensichtlich. Die Frage ist nur, ob ich diese Person (Ego) bin? Während Zazen kann beobachtet werden, dass ohne das geringste Zutun Lebendigkeit des Körpers geschieht, Gefühle wie das Sitzen auf dem Kissen, Emotionen wie Entspannung, Angst, Erregung etc. kommen und gehen ohne ein aktives Zutun. Wahrnehmung über die 5 Sinne wie sehen oder hören passiert ebenfalls völlig ohne "mich". Und Gedanken, Erinnerungen, Ideen an die Zukunft und auch das gedankliche Konstrukt die Person zu sein, mit samt der Geschichte über eine tote Vergangenheit, die uns der Ego-Verstand über uns erzählt, geschieht völlig ohne dass ich irgendetwas zu tun brauche. Die große Frage ist:
Wenn die scheinbar aus sich selbst heraus existierende Person völlig ohne "mein" zutun geschieht, lediglich bedingt durch wechselseitige Abhängigkeit mit dem gesamten Universum, wer bin dann "ich"? Wer oder was nimmt die Phänomene auf der Leinwand des Bewusstseins wahr?
Ganz offensichtlich gibt es da eine Instanz eines Bewusstseins, Gewahrseins oder eines Beobachters, der völlig unpersönlich und nicht greifbar oder beschreibbar ist. Doch selbst die Aussage, dass DAS nicht beschreibbar ist, ist eine Beschreibung. Also muss es noch eine tiefere oder höhere Instanz von Gewahrsein geben. Am Ende ist da weder Sein noch Nicht-Sein, weder Alles noch Nichts. Der Beobachter, der Akt des beobachtens und das Objekt der Beobachten sind letztendlich eins!
Der Ego-Verstand hat mordsmäßig Angst davor sich aufzulösen, seine Macht abgeben zu müssen. Und das ist völlig normal und natürlich. Doch in dem Erkennen, dass die Person ohne "mein" geringstes Zutun von Augenblick zu Augenblick geschieht, kann Loslassen von ganz alleine stattfinden. Erst wenn wir erkennen, dass es da rein gar nichts zum festhalten gibt, kann wahres Loslassen geschehen.
Die scheinbare Person existiert danach ganz normal weiter, so wie vorher auch mit all ihren kleinen und größeren Problemchen, mit samt der Tragödie und Komödie, die wir Leben nennen. Aber es ist ein tiefer Frieden und ein Gefühl von Gelassenheit vorhanden, dass sich auch im Körper-Geist-System ausdrückt. Diese Gefühle sind aber nur der Duft, nicht seine Quelle.
Du schreibst, dass du gerne den Zustand von Gedankenfreiheit erfahren möchtest, aber das was du bist, ist bereits frei von Gedanken, frei von den Ketten der Sklaverei eines sich verselbstständigten Denkzwangs. Du bist bereits wonach du sucht, aber nicht als Person. Wir erwachen nicht als Person, sondern wir erwachen von der Person. Von der Identifikation mit diesem Körper-Geist-System zu dem was wir sind. Das wiederum ist nicht greifbar. Es ist nicht ein "Etwas"...
Der Verstand sträubt sich dagegen mit aller Macht, erzeugt Gefühle wie Angst und dieses "Halt, halt, bis hierhin und nicht weiter." Es ist das, was man im Zen als den kleinen Tod bezeichnet. "Stirb noch ehe du stirbst, damit du nicht verdirbst wenn du stirbst" sagte ein christlicher Mystiker einmal und ein Zen-Meister sagte "Stirb und sei ganz tot. Dann tritt wieder ins Leben und tu was du willst, alles ist gut."
Ich liebe die Geschichte von dem lachende Buddha Hotai:
Ein Mönch war auf der Suche nach Erleuchtung und hatte schon etliche Meister besucht, aber niemand konnte ihm weiterhelfen. Eines Tages traf er auf Hotei, den lachenden Buddha und wusste sofort, dass dieser Mensch die Wahrheit verwirklicht hatte. Er sagte: "Meister, was ist Erwachen. Was ist die Essenz des Zen?" Hotei ließ als Stumme Antwort den Sack, den er über der Schulter trug, zu Boden fallen. "Ja Meister, ich verstehe. Aber was kommt danach?" Hotei ergriff seinen Sack, warf ihn sich über die Schulter, rückte die Last noch einmal zurecht und laut lachend ging er seines Weges ohne sich noch einmal umzuschauen.
Hier eine kurze Erklärung zu dieser Geschichte: https://youtu.be/eeobJ1zi7bQ
Mir scheint, dass wenn wirklich keine Schizofrenie oder ähnlich vorliegt, dass da nur noch ein dünner Schleier aus Illusion und Täuschung, ein dünner Faden der Identifikation vorhanden ist. Trau dich, gemeinsam in der Gruppe und angeleitet durch einen erfahrenden Praktizierenden, diese Faden für einen Augenblick los zu lassen und zu springen. Du musst keine Angst haben, die Person wird nicht verschwinden, sie wird auch danach, genau wie vorher auch, weiter geschehen. Aber wenn die Identifikation einmal durchschaut wurde, wird das Leben weniger kompliziert und verwirrend. Wir können zusehen, wie sich Leben Stück für Stück entfaltet.
Zen ist kein Weg der Lethargie, sondern ein sehr aktiver lebensbejahender Weg inmitten des Alltags zum Wohle aller Wesen.
Praktizierender:
Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort! Möglicherweise ist es tatsächlich so, dass da nur noch ein dünner Schleier aus Illusion und Täuschung, ein dünner Faden der Identifikation vorhanden ist. Allerdings mache ich gerade eine emotionale Achterbahn durch bzw. das "Ich" klammert und wehrt sich bei mir sehr gegen das Loslassen.
Es kommen Angstzustände mit denen ich nicht gerechnet habe. Die Angst muss ich zunächst irgendwie akzeptieren, dann löst sie sich wahrscheinlich von selbst auf. Oder es kommen sehr häufig Tränen der Rührung in verschiedenen Situationen. Mein Eindruck ist zur Zeit, dass Einiges aus der Vergangenheit hochkommt und wie Du eingangs beschrieben hast wirkt es auf mich wie eine Gesprächstherapie mit mir selber.
Die Themen verarbeite ich einerseits auf intellektueller und emotionaler Ebene. Andererseits versuche ich die Gefühle anzunehmen, dann los zu lassen und nichts zu wollen. Gar nicht so einfach....
Antwort:
Du schreibst von einer emotionalen Achterbahnfahrt und dass das ich sich wehrt und klammert. Das darf und soll es ruhig... Denn:
Frag dich selbst, ob das was du wahrnimmst wahrgenommen werden kann. Und dann Schwenk den Fokus um 180 Grad und bleibt bei dem, was das alles wahrnimmt oder beobachtet. Das nennt man Achtsamkeit, Gegenwärtigkeit, Präsenz oder Gewahrsein... deine wahre Natur, dein wahres selbst.
Praktizierender:
Lieber Thorsten,
es beschäftigt mich die ganze Zeit. Die Frage ob die Depersonalisierung/Derealisierung die ich immer wieder mal erlebe einem Zustand im Zazen gleicht. Ich habe die Vermutung, dass während der Depersonalisierung das "Selbst" zum Vorschein kommt. Dem "Ich", meinem riesigen "ICH", macht das ungeheuer Angst und es versucht alles, um dieses Erleben zu verhindern. Vielleicht sind Depersonalisierung und die Erfahrung des Selbst durch Zen ein und das gleiche? Ich weiß es nicht aber jetzt habe ich ein Video entdeckt wo genau das erklärt wird. Allerdings wird beschrieben das die Depersonalisierung und das Erleben der Leere (des Selbst, wie ich meine) im Zen, zwei Seiten einer Medaille sind. Das Eine angstbesetzt das Andere erlösend und friedlich.
Falls Dich das Video interessiert: https://www.youtube.com/watch?v=9zIKQCwDXsA
P.S. Ich hatte während unserer Zazen Tage ein paar kleinere DP als ich mit Euch gesprochen hatte die ich eher neugierig zur Kenntnis genommen hatte (das geht, solange sie mich nicht überwältigen). Deine Strategie wirkt: Es annehmen und einfach die ganze Breitseite fordern.
Thorsten:
Vielen Dank für den Link zum Video, das ich sehr spannend fand. Als junger "Zen-Lehrer" ist das, was du erlebst und beschreibst, eine Möglichkeit mich weiterzuentwickeln und ich danke dir aus tiefstem Herzen für dein Vertrauen und deine Offenheit. Ich selbst habe so etwas nie auf diese Weise erlebt. Mir als Person ging es früher immer darum zu erwachen. Ich wollte wissen, was es mit dieser Erleuchtung Buddhas und all der Meister auf sich hat.
So habe ich die Depersonalisierung, das stehen am Rand der Klippe mit dem einzigen Ausweg noch einen Schritt nach vorne zu gehen, als wunderbare Erfahrung erlebt: Einssein, tiefer Frieden und Glückseeligkeit.
"Mein" Ego hat nie mit Angst reagiert. Allerdings mit einen leichten Gefühl von Depression ganz zu Beginn des Erkennens: Alles ist sinnlos, ich habe keine höhere Lebensaufgabe, alles was ich glaubte erreicht und getan zu haben, bin nicht ich...?
Nur wenn WIR uns auf diese Gedanken einlassen, erneut Identifikation geschieht, führen diese Gedanken zu Depression und Angst. Wenn WIR bei uns bleiben, bei dem was WIR sind, sind es nur auftauchende Phänomene auf der Leinwand des persönlichen Bewusstseins. Die Leinwand fängt nicht an zu brennen, wenn da ein Feuer gezeigt wird. Und sie wird nicht nass, nur weil ein Wasserfall zu sehen ist.
Du schreibst, dass du die Vermutung hast, dass während der Depersonalisierung das Selbst zum Vorschein kommt. Das tut es nicht! Es ist schon immer gegenwärtig. Vielmehr möchte ich es wie folgt beschreiben:
Du sitzt im Kino und schaust dir einen Film an. Die Figur des Hauptdarstellers ist für dich so inspirierend, dass du dich mit ihm identifizierst, mit ihm leidest und freust. Irgendwann vergisst du völlig, dass du in Wahrheit im Kino sitzt und erfährst dich selbst während des Films als der Hauptdarsteller. Musst DU nun erst zum Vorschein kommen, um zu erkennen, dass du lediglich im Kino sitzt?
Nein, du musst lediglich erkennen, dass du nicht der Hauptdarsteller bist und nie warst. Der Hauptdarsteller im Film kann diese Erfahrung nicht machen, da er nun einmal nur aus Licht besteht, dass auf die Kinoleinwand geworfen wird. Die einzelnen Bilder laufen so schnell ab, dass es tatsächlich so wirkt, als gebe es eine Handlung und einen Ablauf in Raum und Zeit. In Wahrheit aber, sind es alles nur Einzelbilder, Momentaufnahmen.
Der Hauptdarsteller existiert, aber er existiert nur innerhalb des Films. Was passiert nun mit diesem Hauptdarsteller, wenn Du im Kinosessel aufwachst und erkennst, dass du die ganze Zeit nur der Zuschauer warst? Verschwindet der Hauptdarsteller? Löst er sich auf? Ist der Film dann schon vor dem Ende vorbei? Nein, der Film läuft weiter. Aber DU, das was DU bist ohne zu sein, erkennt sich selbst als Nicht-Hauptdarsteller.
Nun ist diese Metapher weniger für dein Problem mit der Angst geeignet. Oder vielleicht doch... Nehmen wir an, der Hauptdarsteller im Film gerät in eine Situation, in der er Todesangst hat. Er hat Angst sich aufzulösen oder zu sterben. Die Angst wird übermächtig und überwältigt ihn geradezu. Hat das einen Einfluss auf DICH als Zuschauer?
Gehen wir weg von dieser Metapher und schauen uns nun deine Situation an. Jede Angst hat immer mit der Illusion einer Zukunft zu tun. Da ist die Angst, dass irgendwas schlimmes passiert und der Ego-Verstand kreiert ein Schreckensbild, was da nicht alles geschehen könnte. Diese Vorstellung (sie "stellt sich vor" das Augen des Zuschauers) erzeugt Gefühle von Angst und Panik. Doch in diesem Augenblick hier und jetzt, im Erkennen, dass alles wovor wir Angst haben nur ein Bild, eine Vorstellung im Bewusstsein ist, kann diese Angst als ein gedankliches Konstrukt erkannt werden und kann sich durch dieses Erkennen auflösen.
Meine Empfehlung an dich, in einer solchen Situation zu sagen "In Ordnung, da ist Angst, da ist Panik. Also los, zeig mir deinen besten Schlag" ist eine Einladung zu erfahren, dass diese Angst keine Wirklichkeit in sich selbst hat. Sie ist völlig abhängig von deiner Energie in Form von Aufmerksamkeit und Identifikation. Wenn du realisierst, dass nichts schlimmes passiert, kann die Angst in Zukunft vielleicht einfach als das gesehen werden, was sie ist: Lediglich ein inneres Phänomen, das auftaucht, kurz verweilt und wieder verschwindet, wenn wir dieses Phänomen unberührt, unangetastet lassen. Wenn wir das Phänomen weder ergreifen noch zurückweisen, können wir seine Vergänglichkeit und Substanzlosigkeit erkennen. Das war´s auch schon...
Ich empfehle dir aber nicht, dieses Experiment für dich allein zu machen. Nutze dazu einen geschützten Raum in einer Gruppe, der du vertraust wie zum Beispiel am vergangenen Wochenende. All die Strukturen und klar geregelten Abläufe im Zen, haben unter anderem auch die Aufgabe, dir in einer solchen Situation einen Rahmen und eine Struktur von scheinbarer Sicherheit zu geben, so dass du dich fallen lassen kannst. Das Schlagen des Holz, die Trommel und die klarer Struktur der Abläufe im Dojo, so wie ein vertrauensvoller Lehrer oder Übungsleiter, können uns in einer solchen Situation helfen, trotz der überwältigenden Gefühle (gilt übrigens auch für die positive Form) ganz bei uns zu bleiben und zu beobachten, was von Augenblick zu Augenblick geschieht.
Alle negativen Gefühle wie Angst, Depression etc., genauso wie alle positiven Gefühle von Frieden, Glückseeligkeit etc. sind nichts als ein Gaukelspiel des Ego-Verstandes in seiner dualistischen Wahrnehmung. Worum es geht, ist darüber hinaus zu gehen und noch jenseits des darüber hinaus. Selbstverständlich ist es kein Gehen und auch kein Prozess, der uns von A nach B bringt. Wenn Erkenntnis geschieht, lachen wir laut auf, da wir schon immer sind, wonach wir so verzweifelt suchen.
Praktizierender:
Lieber Thorsten,
vielen Dank für Deine Antwort! Es ist noch schwer alles nachzuvollziehen was Du schreibst und ich werde mich damit intensiv auseinandersetzen.
Ich glaube es gibt vielleicht auch ein Missverständnis, weil ich mich verkehrt ausgedrückt habe. Wenn ich schreibe, dass bei der Depersonalisierung das Selbst "zum Vorschein" kommt meine ich nicht, dass es dann quasi neu entsteht. Ich gehe davon aus, dass es immer da ist. Allerdings bin ich mir des "Selbst" nicht immer bewusst. Also es ist da, aber ich nehme es nicht wahr wegen des "übermächtigen" Ichs.
Bei der Depersonalisierung erlebe ich das "Selbst" dann aber, weil das Ich als Automat, sich selbst fremd geworden, irgendwie entfernt vor dem Selbst agiert. Ich kann das "Selbst" nicht beschreiben, aber es ist das was dann zum "Vorschein" kommt oder mir bewusst wird wenn das Ich "depersonalisiert" und wie ein Vorhang der etwas auseinander gezogen wird einen Spalt öffnet für etwas was dahinter liegt.
Sehr gern nehme ich Dein Angebot an bei den nächsten Zazen Tagen zu versuchen in der Gruppe, in Gegenwart von Dir los zu lassen. Ob es dann gelingt ist noch die Frage...
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Du Depressionen hattest durch Deine Erleuchtungserfahrung. Was macht dann noch wirklich Sinn von dem Alltäglichen mit dem man sich sein Leben größtenteils beschäftigt. Auch ein Thema zu dem ich gern mehr von Dir erfahren möchte.
Die Erklärung zur Angst, dass sie bezogen auf die Zukunft ist verstehe ich zwar aber darüber muss ich auch nochmal nachdenken. Das Problem ist, dass die Angst einfach da ist und einen teilweise mit aller Macht wegspült egal, wie sehr man den Mechanismus Angst versteht. Ich glaube es ist sehr wichtig einen Lernprozess zu starten indem man die Angst zulässt. Wie Du treffend sagst: Gib mir Deinen härtesten Schlag.
Thorsten:
Eine letzte Antwort auf deine Mail (da es sich auf diese Weise nicht wirklich gut ausdrücken lässt und im persönlichen Gespräch mehr passiert als nur der Austausch von Worten)...
Ich antworte einfach mal direkt in deine Mail:
Vielen Dank für Deine Antwort! Es ist noch schwer alles nachzuvollziehen was Du schreibst und ich werde mich damit intensiv auseinandersetzen.
Wer will das tun? Doch auch nur wieder der Ego-Verstand, der glaubt er könne das jemals begreifen. Das wird nicht funktionieren, auch ich verstehe es nicht!
Ich glaube es gibt vielleicht auch ein Missverständnis weil ich mich verkehrt ausgedrückt habe. Wenn ich schreibe, dass bei der Depersonalisierung das Selbst "zum Vorschein" kommt meine ich nicht, dass es dann quasi neu entsteht. Ich gehe davon aus, dass es immer da ist. Allerdings bin ich mir des "Selbst" nicht immer bewusst. Also es ist da aber ich nehme es nicht wahr wegen des "übermächtigen" Ichs.
Du, der Ego-Verstand, wird sich des SELBST niemals bewusst werden! Du bist dir nie über DICH bewusst. Alles was vom Ego-Verstand erkannt werden kann, ist dass alles was erkannt wird, nicht das ist, was erkennt. Alles was beobachten werden kann, nicht das ist, was da beobachtet.
Bei der Depersonalisierung erlebe ich das "Selbst" dann aber weil das Ich als Automat, sich selbst fremd geworden, irgendwie entfernt vor dem Selbst agiert. Ich kann das "Selbst" nicht beschreiben aber es ist das was dann zum "Vorschein" kommt oder mir bewusst wird wenn das Ich "depersonalisiert" und wie ein Vorhang der etwas auseinander gezogen wird einen Spalt öffnet für etwas was dahinter liegt.
Die Erfahrung die du beschreibst, ist auch nur wieder eine Vorstellung, erzeugt vom kleinen ich um dich endlich zufrieden zu stellen: "Hey, schau mal, das könnte es sein..." Aber wenn du es wahrnehmen kannst, dann ist es nicht DAS. Worum es geht, ist völlig unbewusst. Das Erwachen, vielmehr das, was zu sich selbst erwacht, ist unbewusst und kann nicht beschrieben oder ergriffen werden. Und dennoch hat diese Erkenntnis Einfluss auf das Körper-Geist-System in Form von Befreiung, Angstlosigkeit, Vertrauen ins Leben/Gott...
Sehr gern nehme ich Dein Angebot an bei den nächsten Zazen Tagen zu versuchen in der Gruppe, in Gegenwart von Dir loszulassen. Ob es dann gelingt ist noch die Frage...
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Du Depressionen hattest durch Deine Erleuchtungserfahrung. Was macht dann noch wirklich Sinn von dem Alltäglichen mit dem man sich sein Leben größtenteils beschäftigt. Auch ein Thema zu dem ich gern mehr von Dir erfahren möchte.
Im schlussendlichen Erkennen, dass ich nicht der Denker sein konnte, verloren alle Gedanken und inneren Phänomene an Wichtigkeit und Macht. Ein gedankliches Konzept nach dem anderen, wie z. B. Schuld, Raum und Zeit, Lebenssinn und sogar Zen, sind einfach abgefallen. Alles was bleibt kann ich in einem Satz zusammenfassen: Leben geschieht von Augenblick zu Augenblick für niemanden!
Die Erklärung zur Angst, dass sie bezogen auf die Zukunft ist verstehe ich zwar aber darüber muss ich auch nochmal nachdenken. Das Problem ist, dass die Angst einfach da ist und einen teilweise mit aller Macht wegspült egal, wie sehr man den Mechanismus Angst versteht. Ich glaube es ist sehr wichtig einen Lernprozess zu starten indem man die Angst zulässt. Wie Du treffend sagst: Gib mir Deinen härtesten Schlag.
Ja, das hört sich vernünftig an. Am Ende wirst du laut auflachen bei der Erkenntnis, dass diese Angst schon immer all ihre Macht von DIR vom SELBST bekommen hat, auf Grund einer fehlerhaften Identifikation. Die Angst wird vielleicht nie verschwinden, aber sie wird ihrer scheinbaren Macht und Kraft beraubt und wir erkennen ihre Substanzlosigkeit. Nicht intellektuell, sondern durch eigene intime, jede Zelle durchdringende Erfahrung.
„Es gibt, Ihr Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Ungeschaffenes, Ungestaltetes. Wenn es, Ihr Mönche, dieses Ungeborene, Ungewordene, Ungeschaffene, Ungestaltete nicht gäbe, so wäre hier ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten nicht zu erkennen. Weil es nun aber, Ihr Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenens, Ungeschaffenes, Ungestaltetes gibt, so ist auch ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten zu erkennen.“
Buddha