Grundsätzlich ist es von Mensch zu Mensch und der jeweiligen Situation abhängig, ob Schmerzen während Zazen physisch oder psychisch bedingt sind. Ich selbst habe über Jahre auf Sesshins starke Schmerzen gehabt. Das lag aber vor allem an einem viel zu niedrigen Zafu (Meditationskissen) und einer sehr harten Haltung, da ich den Ausspruch "Sitzen wie ein Berg" missverstanden hatte.
Relaxed sterben in Zazen
Aber ich habe die Zähne zusammen gebissen und versucht irgendwie durchzuhalten. In einer solchen Situation die Antwort von einem "Meister" zu erhalten die sagt: "Einfach weiter sitzen und die Schmerzen ignorieren." führt doch eher dazu, dass ich nicht nach meiner Haltung oder Zafuhöhe schaue, sondern versuche (!) während Zazen "relaxed zu sterben" wie es manchmal ausgedrückt wird.
Doch allein die Idee etwas tun oder machen zu müssen, um die Schmerzen besser aushalten zu können (Zitat Muho, Abt des Antaiji in Japan: "Die Schmerzen sind zwar dann nicht weg, aber sie stören nicht mehr so, weil Du bereit bist zu sterben" https://youtu.be/bk7JRHNX19A) ist fehlerhaft oder kann zumindest zu der Idee führen, dass ich etwas tun kann, damit die Schmerzen nicht mehr spürbar sind bzw. nicht mehr so stören.
In meinem Verständnis geht es im Zen nicht darum einen wie auch immer gearteten Sitzdogmatismus zu praktizieren. Es geht nicht darum Grenzerfahrungen zu machen oder sich auf andere Weise in veränderte Bewusstseinszustände zu bringen.
Es ist doch so offensichtlich...
"Shikantaza - nur sitzen" bedeutet nicht, dass unsere Praxis das stundenlange sitzen auf einem Kissen ist. Shikantaza ist das Koan des Soto-Zen und bedeutet nicht weniger, als einfach nur zu sitzen.
Ich bekomme also die Aufgabe "nur zu sitzen". Doch was passiert da...?
Ich nehme mir vor nur zu sitzen aber die Lebendigkeit dieses Körpers inklusive der Funktion der inneren Organe, Zellversorgung, Wachtums- und Alterungsprozess funktioniert weiter... all das geschieht ganz ohne mich. Ich muss rein gar nichts tun, damit Lebendigkeit dieses Körpers in diesem Augenblick geschieht.
Das ist ziemlich offensichtlich, muss aber trotzdem zu Deiner intimen und ganz vertrauten Erfahrung werden. Es reicht nicht, das zu wissen. Du musst es während Zazen klar erkennen und durchdrungen sein von dieser offensichtlichen Wahrheit. Vielleicht ist zu Beginn der Übung daher die Entwicklung von Konzentration wichtig, vielleicht aber auch nicht. Denn dann kannst Du weiter schauen. Was passiert noch?
Obwohl ich mir vornehme wirklich nur zu sitzen geschieht Wahrnehmung über die Sinne. Ich tue rein gar nichts, damit hören geschieht oder sehen...
Schallwellen dringen an das Ohr und werden im Gehirn irgendwie von Worten in Sätze und von Tönen in Melodien übertragen ohne dass ich irgendwas mache.
Selbst wenn die Augen geschlossen sind geschieht Sehen der Dunkelheit hinter den Lidern. Ich kann nicht nicht sehen. Es ist wie mit dem Herzschlag oder der Verdauung. Es geschieht ganz ohne mich.
Fühlen geschieht... das Gefühl auf dem Zazu zu sitzen habe ich nicht gemacht. Das Gefühl der Kleidung auf der Haut habe ich nicht produziert oder hergestellt. Ich muss rein gar nichts tun, damit Wahrnehmung geschieht. Das läuft völlig ohne mich...
Was geschieht noch?
Jeder der schon einmal längere Zeit Zazen praktiziert hat, kann beobachten, dass Denken geschieht. Ohne dass ich das Geringste zu tun brauche, geschieht von Augenblick zu Augenblick denken. Manchmal mit kurzen oder auch langen Phasen der Stille. Aber spätestens nach Zazen läuft die Kiste da oben wieder an... Und auch Denken geschieht, ohne dass ich das Geringste zu tun brauche.
Zugegeben, das Denken ist wohl mit das subtilste Empfinden und im Alltag kann es sich, da wir es über Jahre nicht anders erfahren haben, tatsächlich so anfühlen, als ob ich der Denker wäre.
Aber wie machst Du das konkret, wenn Du denkst? Denkst Du vorher darüber nach, welchen Gedanken Du als nächstes denkst? Plane nur mal 5 Minuten Deine Gedanken und dann halte Dich für 5 Minuten genau an die Abfolge der Gedanken, die Du Dir vorgenommen hast.
All diese inneren Phänomene, all das taucht im persönlichen Bewusstsein auf und dieser Wandel und die Vergänglichkeit können beobachtet werden. Das persönliche Bewusstsein kann beobachtet werden, genau wie die Lebendigkeit des Körpers, die Wahrnehmungen, die Gefühle und die Gedanken. Doch all das geschieht völlig ohne mich (so wie gerade das Schreiben dieser Zeilen).
Auch das Empfinden dieses Körper-Geist-System zu sein, dass scheinbar nur durch die wechselseitige Abhängigkeit geschieht, taucht auf und kann beobachtet werden.
Die Frage ist doch: Wer ist dieser Beobachter? Was ist diese letzte Instanz von Gefahrsein, die nicht personifiziert werden kann? Kann der Beobachter sich selbst beobachten?
Diese zugleich geheimnisvolle und doch offensichtliche Wahrheit ist für mich das größte Geschenk, dass Dir Zazen machen kann.
Doch es nimmt Dir gleichzeitig alles, was Du glaubst erreicht oder verwirklicht zu haben. Denn es warst nie Du, der irgendwas getan hat. Du glaubst Du wärst der Denker und Handelnde... aber bei genauerer Betrachtung durch die Praxis von Shikantaza ist es doch offensichtlich, dass Du nicht dieses Körper-Geist-System sein kannst, oder?
Was wäre, wenn die Praxis von Shikantaza als Impuls zu sehen ist, dass Du nicht einmal sitzen machst, aber diese Aufforderung über Jahre falsch weitergegeben worden ist in Form eines "Du sollst ganz viel und ganz intensiv sitzen, damit Du zur Wahrheit durchdringst".
Was wäre, wenn Du das ganze Konstrukt Zen mit all den Zeremonien, Gewändern, Traditionen, Räucherwerk und Klimbim in einem Augenblick restlos aufgeben müsstest?
Was wäre da bei Dir los?
Ich freue mich auf Deine Antwort: info@heisan-zen.de oder in den Kommentaren.