Hannya Shingyo Teil 6

Der letzte Abschnitt des Hannya Shingyo beschreibt, wie wichtig diese Lehre für den Suchenden ist und wie sie angewendet wird: 

 

„Man muss daher verstehen, dass diese Weisheit die große universale Lehre ist, die große, glänzende, höchste und unübertreffliche aller Lehren, die unvergleichliche Lehre, die alles Leiden beendet, denn in der echten Wahrheit gibt es keinen Irrtum. Und deshalb besagt die Lehre von der Höchsten Weisheit: “Lasst uns darüber hinaus gehen, alle gemeinsam, darüber hinaus und noch jenseits des Darüber-Hinaus, an das Ufer des Satori.” 

 

Wie wird jemand zum Suchenden? In unserer Kindheit leben und spielen wir von Augenblick zu Augenblick. Es gibt keine Gedanken, die uns beeinflussen oder hindern! Die Identifikation mit dem denkenden Verstand, hat sich noch nicht so verfestigt. 

 

Wenn wir Hunger haben schreien wir, wenn wir spielen, spielen wir. Es besteht nicht die Notwendigkeit nach irgendetwas zu suchen, da wir in der natürlichen Nicht-Getrenntheit leben. 

 

Dann irgendwann erkennen wir in unserer Bezugsperson, im Regelfall Mutter und Vater, ein anderes Individuum und erkennen uns selbst plötzlich als getrennt von allem anderen. 

 

Aus dieser Erkenntnis entwickelt sich das scheinbare Ego, das verletzt werden kann und das beschützt werden muss. Wir handeln plötzlich im Begreifen von „Ich“ und „Mein“ und die leidvolle Täuschung in Form der Identifikation beginnt. 

Je älter wir werden, desto stärker wird das Gefühl getrennt zu sein und diesen „Jemand“, für den wir uns halten, beschützen zu müssen. 

 

Doch diese Illusion der Trennung muss zwangsläufig Leiden nach sich ziehen. Denn selbst wenn es uns so richtig gut geht, wollen wir diesen Zustand behalten und haben unterschwellig Angst das positive Gefühl, den Partner oder was auch immer, wieder zu verlieren. 

 

So begeben wir uns auf die Suche nach der Einheit. Zunächst vielleicht noch im materiellen oder immateriellen Bereich, wie zum Beispiel ein teures Auto oder Erfolg im Beruf. 

 

Doch wenn wir erkennen, dass uns diese Dinge niemals dauerhaft befriedigen können, suchen wir im religiösen, esoterischen oder spirituellen Bereich nach der Lösung für das Leiden, das darin besteht, dass wir uns getrennt fühlen. 

Doch erkennen viele Menschen das Leiden gar nicht als Leiden. Sie haben aufgegeben und denken, dass das leidvolle und unbefriedigende Dasein nun einmal das Leben ist. 

 

Es gibt aber einige wenige, die sich damit nicht zufrieden geben wollen und einen Weg suchen, dauerhaften Frieden, den sie glauben verloren zu haben, wieder zu finden. 

 

Aber: dieser Frieden und die freudige Gelassenheit sind immer gegenwärtig. Wenn wir aufhören zu suchen, zeigen sie sich ganz von allein als unsere wahre Natur. 

 

Ganz still und leise sind sie, weshalb wir sie im Alltag, durch die uns umgebenden Ablenkungen, völlig überhören. Jedoch kann uns der konditionierte Verstand, mit all seinen Vorstellungen, Meinungen und Denkgewohnheiten, nicht helfen unser wahres Selbst zu finden! 

 

Denn die Identifikation mit diesem, sich verselbständigendem Ego-Verstand, ist es ja gerade, die uns in der Trennung und damit im Leiden hält. So sagt das Mantra oder die Affirmation am Ende dieses Textes: „Lasst uns darüber hinaus gehen, alle gemeinsam, darüber hinaus und noch jenseits des Darüber-Hinaus, an das Ufer des Satori.” 

 

Wir müssen über alle Erkenntnisse, die wir glauben gemacht zu haben, hinaus gehen, um das Satori zu verwirklichen. Sobald wir glauben etwas verstanden zu haben, können wir mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass es „das“ nicht ist! 

 

Erst wenn wir erkennen, dass es da kein Gefängnis und rein gar nichts zum festhalten gibt, geschieht Loslassen ganz von allein. 

 

Wir gehen an das Ufer des Satori, da wir von da an einfach mit dem Fluss der Leerheit und des Satori mit fließen. Wir können aufhören zu tun und zu machen und die Dinge einfach ihren Lauf nehmen lassen. 

 

Selbstverständlich heißt das nicht, sich nicht zu engagieren oder sein Mitgefühl mit allen Wesen auszudrücken. Der nihilistische Gedanke „Dann hat ja alles gar keinen Sinn!“ ist nur ein vom Ego-Verstand produzierter Gedanke und hat mit unserem wahren Sein nichts zu tun. 

 

Wir müssen darüber hinaus gehen und erkennen, dass wir, egal wer wir sind, unseren Platz in diesem göttlichen Spiel haben. Wir müssen endlich ganz und gar erwachsen und selbstständig werden und mit Hilfe unserer Intuition uns dem Leben völlig anvertrauen. 

 

Wir springen in den Fluss des Satori und es bleibt kein „Jemand“ mehr übrig, der etwas für sich selbst tut. Alles geschieht, wenn es geschieht, weil es geschieht. Es gibt nichts zu tun und niemanden der etwas tun könnte. Und doch gibt es die scheinbare Sebstverantwortung und das Mitgefühl mit allen Wesen, die durch die Illusion und Täuschung noch in Ihrem Leiden gefangen sind.