Der Erfahrung der höchsten Wahrheit anzuhaften oder die Identifikation mit der durchschauten Täuschung aufrecht zu halten, beides führt zu Illusion und Leiden.
Den Verstand mit dem Verstand verstehen zu wollen ist wie der Versuch, Feuer mit Feuer zu löschen oder das Meer mit Wasser zu trocknen.
Das Messer kann sich selbst nicht schneiden und die Waage sich selbst nicht wiegen. Doch die Augen können sich selbst in einem Spiegel sehen und erkennen.
Ryokan schrieb keine Gedichte, Dogen kam von China nie zurück. Geleitet durch das Unbeschreibare, geht jedes Phänomen seinen Weg.
Die Pflaume ist vom Baum gefallen, da sie schon lange reif war. Aber die Verbundenheit mit den Wurzeln bleibt bestehen.
Der Fluss des Lebens verzweigt sich in viele Nebenflüsse bis er ins Meer fließt. Aber die reine Quelle strömt im ewigen Augenblick.
Kehre zurück zur Quelle und lass Dich nicht von Bächen und Tümpeln in die Irre führen. Bedenke die Wurzel, wenn
im Herbst die Blätter von den Zweigen fallen.
Wenn auch nur einer unter Tausend die Tiefe hinter den Worten versteht, sind die Verdienste unermesslich. Wenn sich nur einer befreit, sind alle Wesen frei.
Der Weg des Zen, ist ein Weg zu Dir selbst
Die Erfahrung der höchsten Wahrheit ist das Erkennen, dass es so etwas wie ein aus sich selbst heraus existierendes „Ich“ nicht gibt. Es gibt Gedanken, Gefühle und Wahrnehmung, aber all diese Dinge geschehen, wie die Verdauung und der Herzschlag, ganz ohne ein „Ich“, das etwas tun müsste damit es geschieht.
Wenn wir uns aber nach einer solchen Erfahrung wieder auf das Spiel der Gedanken einlassen, findet erneut eine Identifikation mit dem Ego-Verstand statt. Wir können niemals wissen was wir sind. Wir können nur tief erfahren, was wir nicht sind.
Die Identifikation mit dem Ego-Verstand und diesem Körper-Geist-System ist die Wurzel aller Täuschung. Das was wir sind, ist die Quelle des Sein, der Stille Beobachter hinter allem Wandel. Doch kann sich Gewahrsein nicht selbst gewahr sein, so wie sich ein Messer nicht selbst schneiden kann, weil es eins ist.
Ryokan war ein berühmter Zen-Meister, dessen Gedichte auch schon zu Lebzeiten hoch geachtet und anerkannt waren. Zen-Meister Dogen war es, der im Jahr 1227 von Japan nach China reiste, um den wahren Buddhismus zu suchen. Dort stieß er auf das Chan, das nach seiner Rückkehr nach Japan, den Namen Zen bekam.
Doch das gehört zur Ebene der relativen Wirklichkeit, in der die Dinge getrennt und unterschiedlich zu sein scheinen, der Ebene von Shiki.
Aus der Sicht der höchsten Wahrheit, aus der Sicht von Ku, geschehen alle Dinge nur durch wechselseitige Abhängigkeit und es gab niemanden, der Gedichte schrieb oder eine Reise nach China unternommen hat.
Das ganze Universum hat Anteil an den Gedichten Ryokans und der gesamte Kosmos begab sich auf eine Reise. Vom Standpunkt der höchsten Weisheit aus gesehen, gibt es keine Trennung.
So kann auch die Pflaume niemals die Verbundenheit mit der wahren Wurzel allen Seins verlieren. Die Pflaume fällt vom Baum, wenn die Zeit dafür reif ist. Die Reife der Pflaume zeigt sich in Ihrer ewigen Vollkommenheit.
In der Einleitung zu diesem kleinen Büchlein, bin ich bereits auf die Geschichte von Baso und Daibai eingegangen. „Die Pflaume ist reif!“ bedeutet, dass Daibai sein wahres Wesen geschaut und die Identifikation mit der Täuschung aufgegeben hat.
Er hat seine eigene Natur gefunden und selbst wenn sein Lehrer seine Lehre ändert, bleibt Daibai bei der von ihm erkannten Wahrheit seines eigenen Wesens.
Diese Wesensnatur, ist das Wesen aller Menschen. Es gibt in jedem Phänomen den Aspekt von Form und Wesens. Ein Fluss kann viele verschiedene Formen annehmen bevor er ins Meer fließt: mal fließt er schnell, mal fließt er langsam, mal rechts herum, dann links herum, mal breit, mal schmal. Doch sein Wesen ist das Wasser.
Das Wesen des Wassers ist Leerheit. Das ist die reine Quelle von der alles ausgeht. Zu dieser Quelle zurück zu kehren bedeutet, die Nebenflüsse, Tümpel und Bäche als den Ausdruck der Quelle, aber nicht als die Quelle selbst zu erkennen.
Und doch gibt es keine Trennung zwischen Quelle und Fluss, zwischen Fluss und Wolken, zwischen Wolken und Regen usw. Wer zu dieser Erkenntnis durchdringt, sieht die Welt mit anderen Augen.
Es ist ihm nicht mehr möglich, nicht in allem was ist, Gott zu erkennen. Selbst in den Dingen, die unser Verstand nicht mag und ablehnt, erkennen wir die eine höchste Wahrheit des Seins.
Wir erkennen die Wurzel allen Seins in dem göttlichen Prinzip der Leerheit. Im Zen sagt man, dass nur einer unter Tausend Schülern das Erwachen verwirklichen kann.
Das liegt vermutlich daran, dass nur einer unter Tausend die tiefe Sehnsucht nach wirklicher Befreiung in sich trägt.
Wer wirklich frei sein will und bereit ist dafür zu sterben, wird die Erleuchtung verwirklichen. Aber was stirbt, ist die Identifikation mit etwas, das wir nicht sind und nie waren.
Was stirbt ist die Illusion unseres Verstandes, irgendetwas tun zu müssen, um tiefen Frieden und stille Freude zu erfahren. Wenn einer unter Tausend erwacht, bedeutet das aber auch, dass der Weg weiter gegeben wird wie es schon seit über 2.500 Jahren geschieht.
Aus diesem Grund jubelt das Universum wenn ein Mensch das Erwachen verwirklicht und bereit ist, es mit allen Wesen zu teilen. Das Erwachen geschieht niemals allein.
Gemeinsam mit allen Wesen verwirklichte Buddha das Erwachen als er den Morgenstern erblickte. Das Gefühl des unbegrenzten Friedens und der Solidarität mit allem was ist, ist der Ausdruck unseres wahren Wesens, auf der Ebene der relativen Wirklichkeit.
Aber wir dürfen diesen Ausdruck nicht mit unserem wahren Selbst verwechseln und anfangen uns an diesen Frieden zu klammern.
Wir müssen ein für allemal erkennen, dass wir diesen Frieden niemals erlangen können. Denn wir sind bereits dieser Frieden. Es gibt nicht uns und diesen formlosen Raum des Friedens, in den wir eintauchen. Wir sind dieser Raum unbegrenzten Friedens. Wir können diesen Frieden niemals verlieren, weil wir selbst dieser Frieden sind!